Antigentests auf SARS-CoV-2: Der Preis der Schnelligkeit

2022-11-07 15:57:22 By : Ms. Lisa Li

Die neue Nationale Teststrategie sieht vor, Antigentests einzusetzen, um asymptomatische Personen mit einer SARS-CoV-2-Infektion aufzuspüren. Dabei sind sie per se weniger sensitiv als der PCR-Test. Trotzdem besteht die Hoffnung, dass ihr Einsatz in der Coronapandemie einen Nutzen bringt.

Bei Personen, die Symptome aufweisen, sollen Antigentests der im Oktober veröffentlichten neuen Teststrategie zufolge nur im Ausnahmefall angewendet werden, zum Beispiel bei begrenzter Kapazität von PCR-Tests oder wenn ein Ergebnis rasch vorliegen muss. Bei asymptomatischen Personen sind die Empfehlungen differenziert nach Zielgruppen und nach Kriterien der Exposition oder Disposition. Grundsätzlich gilt bei bestätigten Kontakten mit COVID-19-Fällen immer noch das Primat der PCR-Testung.

„Möglich“ sind Antigentests im Rahmen eines (vermuteten) COVID-19-Ausbruchs, sei es lokal in der Allgemeinbevölkerung, in Krankenhäusern, Einrichtungen für ambulante Operationen oder Dialyse, Reha- und Pflegeheimen oder (Zahn-)Arztpraxen. Ermöglicht wurden sie auch für Einreisende aus Risikogebieten. Eine „Empfehlung“ wird ausgesprochen für die Antigentestung von Patienten, Personal und Besuchern der genannten Einrichtungen – vorausgesetzt immer, es ist kein COVID-19-Fall im Spiel. Bei der Testung von Besuchern in Einrichtungen (unmittelbar vor deren Besuch) wird auf die Abstimmung mit den Gesundheitsämtern und die Abhängigkeit von lokalen Neuinfektionen (7-Tage-Inzidenz > 50/100 000) verwiesen (1).

Nur für Personen ohne Symptome

Hauptzielrichtung des empfohlenen Einsatzes dieser Antigentests sind laut der neuen Teststrategie asymptomatische Personen. Dies ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass auch symptomlose SARS-CoV-2-Infizierte ansteckend sein können. Das gilt sowohl für präsymptomatische Menschen kurz vor den ersten Krankheitszeichen als auch für die eigentlich asymptomatischen, die überhaupt keine Krankheitszeichen entwickeln (2).

Während asymptomatische Ansteckungen durch „silent transmitters“ vermutlich eine untergeordnete Rolle spielen, geht laut Robert Koch-Institut (RKI) von präsymptomatischen Personen ein bis zwei Tage vor Symptombeginn ein „relevanter“ Anteil der Neuinfektionen mit SARS-CoV-2 aus. Als sicher gilt, dass die Ansteckungsfähigkeit in der Zeit um den Symptombeginn herum am größten ist (3). Nach Modellrechnungen zur Frühphase der Pandemie sind symptomlose Virusträger für mehr als die Hälfte der Neuinfektionen verantwortlich (4, 5).

Dies steht im Einklang mit der Beobachtung, dass eine hohe Viruslast im oberen Atemwegstrakt schon in der präsymptomatischen Phase der COVID-19-Erkrankung – ein bis drei Tage vor Symptombeginn – auftreten kann, ebenso wie in der frühen symptomatischen Phase – innerhalb der ersten fünf bis sieben Tage (6). Die Erwartung an Antigen-Schnelltests ist, dass sie in diesen Phasen die Möglichkeit einer frühen Diagnose und Unterbrechung der Übertragung eröffnen, indem Infizierte erkannt und einschließlich ihrer engen Kontaktpersonen gezielt isoliert werden.

Voraussetzung dafür ist eine operative Sensitivität der Tests, die eine Infektion vom Beginn der (übertragungsrelevanten) Ausscheidung des Virus bis zum Ende der Kontagiosität des Betroffenen anzeigt. Ob dies gegeben ist, müssten laut RKI vergleichende Studien (PCR-Test vs. Antigentest/Virusanzucht; Mindestwerte für positive [PPA] und negative prozentuale Übereinstimmung [NPA]) und klinische Studien in der praktischen Anwendung des Tests prüfen (7).

Publizierte Daten liegen bisher nur für wenige Antigen-Assays vor. In einer aktuellen Cochrane-Analyse wurden für ältere Antigentests bis Mai 2020 unzureichende Sensitivitäten im Bereich von 56 % bei hoher Spezifität (> 99 %) berichtet, trotz zum Teil hoher Viruslast der Testmuster (8). Ein WHO-Dokument vom September 2020 stellt fest, dass die Sensitivität von Antigentests aus Nasal- oder Nasopharyngeal-Abstrichen verglichen mit PCR-Tests hoch variabel ist. Berichtet wird darin – basierend auf publizierten Daten – eine Bandbreite der Sensitivität zwischen 0 und 94 %, bei einer Spezifität von über 97 %. Von einer guten Performance der aktuellen Antigentests könne man indes bei hoher Viruslast ausgehen, also bei Ct-Werten ≤ 25 oder > 106 Viruskopien/ml (6). Zur Festlegung einer analytischen Mindestsensitivität ist derzeit laut Paul-Ehrlich-Institut (PEI) weder für SARS-CoV-2-RNA noch für SARS-CoV-2-Antigen ein internationaler Standard verfügbar.

Das für In-vitro-Diagnostika zuständige PEI hat daher unter Beteiligung des RKI Mindestkriterien für Antigentests auf SARS-CoV-2 gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 TestVO (Testverordnung) festgelegt, die am 15. Oktober 2020, zeitgleich mit dem Inkrafttreten der neuen „Test-Verordnung“ veröffentlicht wurden (9). Hersteller, deren Testkits die Mindestkriterien erfüllen, können ihre Tests in eine beim Bundesministerium für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) geführte Liste eintragen lassen (10).

Die Hersteller von Antigentests seien bereits vorab über die Mindestkriterien informiert worden, erklärte das BfArM auf Anfrage des Deutschen Ärzteblattes , sodass am 16. Oktober schon ein Dutzend Tests von Herstellern weltweit gelistet waren; mit Stand vom 21. Oktober waren es fast 30. Eine Überprüfung der Herstellerangaben durch Vergleich mit gegebenenfalls vorhandenen unabhängigen Validierungsstudien erfolge nicht und sei durch die Verordnung auch nicht vorgesehen, bestätigt das BfArM (siehe Kasten). Gefordert werden von den Herstellern Leistungsdaten zu Sensitivität, Spezifität, Kreuzreaktionen, Interferenz sowie Stabilitätstests. Bei der Bestimmung der Sensitivität lautet die Mindestanforderung von PEI/RKI: Mindestens 70 % von unselektierten PCR-positiven Proben von Personen mit COVID-19Symptomen innerhalb von sieben Tagen nach Symptombeginn muss der SARS-CoV-2-Antigentest als positiv erkennen. Dazu wird Probenmaterial mit PCR- und Antigentest parallel untersucht.

Diese niedrige Hürde nehmen die derzeit gelisteten 30 Testkits problemlos. Die Herstellerangaben für die Sensitivität liegen im Bereich von rund 90 bis 97 %, bei unterschiedlich weiten 95-%-Konfidenzintervallen.

Gewünscht, aber nicht zwingend vorgeschrieben: Die Hersteller „sollten“ die verwendete PCR-Methode beschreiben und die Ct-Werte positiver Proben mit der entsprechenden Performance des Antigentests korrelieren. Auch „sollte“ die Nachweisrate des Antigentests bei Patienten mit einem Ct-Wert unterhalb eines definierten Wertes (z. B. < 30), der mit einer relativ hohen Viruskonzentration einhergeht, angegeben werden. Bei der Spezifität, die der Antigentest erreichen muss, liegt die Untergrenze bei 97 %. Dazu sollen asymptomatische Personen ohne konkretes Expositionsrisiko per Antigentest untersucht und etwaige reaktive Proben mittels PCR abgeklärt werden. Hier kommen die meisten Hersteller auf Werte im Bereich von 99–100 %.

Zur Bestimmung einer möglichen Kreuzreaktivität mit verwandten humanen Coronaviren soll der Antigentest Proben mit hoher Konzentration (> 106 Viren/ml) zum Beispiel von „Erkältungsviren“ oder von MERS-CoV verarbeiten. Zur Ermittlung von Interferenzen mit Pathogenen, die eine COVID-19-analoge Symptomatik hervorrufen können (z. B. Influenza A/B-Viren, RSV) oder die mit dem Testprinzip interferieren könnten (zum Beispiel Protein A-positiver S. aureus bei Nasenabstrichen) soll der Antigentest entsprechende Pathogen-positive Proben untersuchen.

Nun hängt der tatsächliche positive oder negative Vorhersagewert beim Antigentest wie auch bei der PCR nicht allein von der operativen Genauigkeit ab. Man sollte sich stets die Vortestwahrscheinlichkeit vor Augen halten, mahnt auch das RKI. Es fließen die geschätzte Prävalenz der Infektion in der Bevölkerung sowie die klinische Einschätzung der getesteten Person ein. Bei asymptomatischen Menschen sinkt die Vortestwahrscheinlichkeit per se, zumal, wenn sie aus einem Umfeld niedriger COVID-19-Prävalenz kommen.

Bei Anwendung der Eckwerte der jetzt gültigen Mindestkriterien für Antigentests – 70 % Sensibilität und 97 % Spezifität – würde bei einer beispielhaften Prävalenz von 3 % die Testung von 100 Personen zwei der drei Infizierten erfassen; ein Test wäre falsch negativ, drei falsch positiv. Der negative Vorhersagewert (richtig Negative dividiert durch alle negativen Ergebnisse) wäre mit 0,98 gut, ein negatives Ergebnis mithin eine recht sichere Sache. Der positive Vorhersagewert läge dagegen nur bei 0,4 – was die Forderung des RKI unterstreicht, dass ein positiver Antigentest grundsätzlich mittels PCR bestätigt werden muss (1). Ralf L. Schlenger

Literatur im Internet: www.aerzteblatt.de/lit4420 oder über QR-Code.

Prof. Dr. rer. nat. Ulf Dittmer, Direktor des Instituts für Virologie am Universitätsklinikum Essen

Wie schneiden Antigentests im Vergleich zur PCR-Testung ab?

Wir haben im Kliniklabor sechs Antigentests verschiedener Hersteller ausprobiert. Bei unserem „Testsieger“ gibt der Hersteller die Sensitivität mit 96,5 % an. Er hatte in unseren Versuchen eine Nachweisgrenze, die einem Ct-Wert von 27 im Referenz-PCR-Test entsprach. Dabei handelt es sich um einen Näherungswert, da keine direkte Vergleichbarkeit zwischen Antigen- und PCR-Test gegeben ist. Wenn man davon ausgeht – und das tut auch das RKI mittlerweile –, dass Infizierte mit einem Ct-Wert jenseits 30 niemanden anstecken können, und der Antigentest geht verlässlich bis 27, besteht also eine gewisse Lücke in der Identifikation von Risikopersonen. Wo die Grenze der Kontagiosität liegt, wissen wir aber nicht genau, zumal die Ct-Werte zwischen unterschiedlichen PCR-Verfahren nur mit Einschränkungen vergleichbar sind.

Wofür werden Sie Antigentests einsetzen?

Als Ergänzung zu den PCR-Tests, bei denen wir ständig am Limit arbeiten, weil die Testmaterialien derzeit nur kontingentiert von den Firmen geliefert werden. Bei Patienten und Mitarbeitern mit verdächtigen Atemwegssymptomen, bei denen die Frage ist, ob das durch SARS-CoV-2 bedingt ist oder durch andere Erreger, werden wir Antigentests einsetzen, in diesen Fällen sind sie sehr verlässlich und schnell. Auch in Arztpraxen wird es viele Situationen geben, in denen es auf eine rasche Entscheidung ankommt.

Ein wesentlicher Baustein der nationalen Teststrategie ist aber der Einsatz von Antigentests bei asymptomatischen Personen . . .

Das habe ich auch so verstanden und finde es etwas bedenklich, weil wir dafür eigentlich zu wenig Daten haben. Einige SARS-CoV-2-infizierte Menschen sind asymptomatisch mit geringer Viruslast beziehungsweise hohem Ct-Wert, aber sie könnten andere anstecken. Dies gilt besonders für präsymptomatische Personen, die einige Tage vor Beginn ihrer COVID-19-Erkrankung bekannt infektiös sind. Ich halte es für sehr ungewiss, ob man diese grenzwertigen Fälle mit den Antigentests ausreichend identifizieren kann. Dafür wurden die Tests an zu wenigen asymptomatischen Patienten getestet. Wenn wir die Antigentests jetzt flächendeckend bei asymptomatischen Menschen anwenden, starten wir einen großen Feldversuch.

Antigen-Schnelltests auf SARS-CoV-2 sind einfach handhabbare Point-of-care-Formate für den direkten, rein qualitativen Nachweis von SARS-CoV-2-Nukleoproteinen in nasopharyngealen und oropharyngealen Sekreten.

Die Durchführung durch medizinisches Fachpersonal erfolgt in wenigen Schritten: Das Teststäbchen mit dem Abstrich aus dem Nasen-Rachen-Raum wird in einem Röhrchen mit Pufferlösung extrahiert. Von der Lösung wird eine definierte Tropfenzahl auf die Testkassette gegeben. Nach 15–30 Minuten ist ein Ja/Nein-Ergebnis ablesbar, ähnlich wie bei einem Schwangerschaftstest.

Beim immunchromatografischen Testprinzip (Lateral-flow-Test) befinden sich in der Testzone SARS-CoV-2-Antikörper, die mit farbigen Partikeln konjugiert sind. Die Probeflüssigkeit durchwandert durch Kapillarkräfte den Streifen, vorhandene Antigenproteine werden von den Antikörpern gebunden. Die Antigen-Antikörper-Komplexe erreichen das eigentliche Testfeld mit weiteren, immobilisierten Antikörpern. Durch die Anreicherung entsteht im Testfeld eine Färbung oder eine Fluoreszenz. Die Flüssigkeit wandert weiter zu einem Kontrollfeld, dessen Färbung die vollständige Durchführung des Tests anzeigt. Erscheint sie nicht, ist der Test ungültig.

In den von PEI und RKI festgelegten Mindestanforderungen ist die Korrelation der Ergebnisse der Antigentests mit den Ct-Werten der PCR gewünscht. Der Cycle threshold (Ct) gibt an, wie viele Zyklen einer PCR erforderlich sind, um ein gesuchtes DNA-Fragment per Fluoreszenzreaktion oberhalb eines Schwellenwerts sichtbar zu machen.

Da SARS-CoV-2 ein RNA-Virus ist, muss zuerst eine komplementäre cDNA mithilfe einer Reversen Transkriptase abgeschrieben werden. Diese cDNA kann anschließend bei jedem PCR-Zyklus verdoppelt werden. Je weniger gesuchte cDNA sich in der Ausgangsprobe befindet, desto mehr Zyklen braucht es für ihren Nachweis.

Trotzdem lässt der Ct-Wert keine eindeutige quantitative Bestimmung der Viruslast eines Patienten zu. Zum einen weil die Qualität des Abstrichs sowie Transport und Lagerzeiten bestimmen, wie viel Virus in einer Probe nachweisbar ist. Zum anderen sind die Ct-Werte zwischen Testsystemen und Laboren bislang nicht standardisiert. Das zeigte ein Ringversuch im April 2020 unter 463 Laboren, die Proben mit bekannten SARS-CoV-2-Konzentrationen untersuchten (13). Bei der gleichen Verdünnung von 1:10 000 lagen dabei die Ct-Werte für ein positives Signal zwischen 13 und 38. Standardproben sollen künftig helfen, die Laborergebnisse über Geräte und Reagenzien hinweg zu vergleichen. jff

Hersteller zertifizieren sich (noch) selbst

Tests auf SARS-CoV-2 unterliegen für die Marktzulassung der EU-Richtlinie zu In-vitro-Diagnostika (IVD). Als „IVD niedrigen Risikos“ durchlaufen sie derzeit kein behördliches Zulassungsverfahren, sondern lediglich ein „Konformitätsbewertungsverfahren“ zur Erlangung des CE-Kennzeichens. Der Hersteller muss darin nachweisen, dass sein Produkt sicher ist und die technischen und medizinischen Leistungen so erfüllt, wie sie von ihm beschrieben werden.

Solange Hersteller ihre Diagnostika in Eigenregie zertifizieren, ist die Validierung aus Sicht des für In-vitro-Diagnostika zuständigen Paul-Ehrlich-Instituts nicht gesichert. Bei Tests, die im Internet und in Apotheken angeboten werden, habe es nachweislich Fälschungen gegeben. Das PEI hat daher unter Beteiligung des Robert Koch-Instituts (RKI) Mindestkriterien für Antigentests auf SARS-CoV-2 gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 TestVO (Testverordnung) festgelegt. Vergleichenden Evaluierungen der Leistungsdaten der gelisteten Tests sind darin eine „Kann“-Vorschrift (9).

Erst unter der künftigen IVD-Verordnung, umzusetzen ab Mai 2022, muss zur Validierung ein EU-Referenzlabor sowie eine benannte Stelle hinzugezogen werden, da die COVID-19-Tests dann voraussichtlich in die höchste Risikoklasse gehören werden. Dies erfordert eine Laboruntersuchung der Tests sowie eine unabhängige Überprüfung der Daten (11). Weltweit sind aktuell über 750 verschiedene Tests auf SARS-CoV-2 verfügbar oder in Entwicklung, darunter 36 Antigentests mit CE-Kennzeichnung (12).

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