ZEIT Magazin Online

2022-11-07 15:50:28 By : Ms. Coral lau

Vor ein paar Jahren noch habe ich es wirklich eine Zeit lang versucht: mit studentischer Sommerfreude an überfüllten Weihern, stinkenden Einweg-Grills, auf eBay gekauften Fahrrädern, an schlammgrünen Seen, mit sonnenerwärmten Wassermelonen aus schlecht gespülten Tupperdosen. Und doch fühlte ich mich jedes Mal verloren in der Menge, wie konnte man diese Farce nur so romantisieren? Meine Kleider klebten an Arm und Rücken, mein Parfüm- und Deoverbrauch stieg ins Unermessliche. Heute, mit 23 Jahren, muss ich zugeben: Ich hasse den Sommer.

Die Pollen, die Gräser, die verfluchten Viecher auf der Haut, dieses unerotische Kratzen diverser Insektenstiche, die ganze Outfits zerstören durch ihre beulige Präsenz. Jede Fahrradfahrt wird ein Kampf der Arten, Fliegen in den Augen, in der Nase, im Mund. Vegan ist das nicht.

Ich spüre wieder diese abartigen Schweißtropfen auf der Nase, die sich wie kleine Regentropfen zu Dutzenden verteilen. Diese exzessive Produktion an der Nase habe ich meiner Mutter zu verdanken. Ständig schiebe ich mir die Brille hoch, im gleichen Takt: wischen, stöhnen, schieben.

Im Sommer wird auch die Fortbewegung zum Problem. Zwischen meinen Beinen ist es jetzt im Juni schon zu warm, und ich kann bis Oktober nicht mehr mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren. Wenn mein täglich zweifach geduschter Körper nur in die Nähe der viel zu warmen U-Bahn gerät, zieht sich alles in mir zusammen. Laute Menschen, die sich die Stirn wischen, Kinder, die quengeln, verständlicherweise. Wegbier, das auf den U-Bahn-Boden tropft. Ich sattele deshalb im Sommer auf Fahrrad, Mietwagen und E-Scooter um – genau, diese peinlichen Teile, bei denen man eine Taste drückt, um sich fortzubewegen.

Stilsicherheit im Sommer? Eine Illusion. Niemand kann mir erzählen, dass Satin an heißen Tagen ein realistisches Vorhaben ist. Nein, auch Leinen löst nicht das Problem, es fällt schlecht, ist steif und nur am Sylter Strand kühlend. Kleider lassen mich verletzlich wirken, ich sehe viel zu süß in ihnen aus, so will ich nicht aussehen. Und "chubby thighs" sind der nächste Gegner, meine dicken Oberschenkel. Entweder quält man sich mit Deo zwischen den Beinen oder diesen beschissenen Radlerhosen unterm Kleid, die ja eigentlich gerade so in sind, aber irgendwie kommt man sich mit ihnen nackter vor als ohne sie, weil sie sich ein wenig anfühlen wie eine zu groß geratene Unterhose. Am Ende wird es ein Laken sein oder ein Nichts aus Baumwolle, das irgendwie als Kleidung dient. Immerhin, Plateauwedges! Sie retten die Ehre jedes unwürdigen Looks.

Was soll an brennender Hitze , die einen lähmt, bitte toll sein? Mein Körper lechzt nach Gnade, Kühle, Wasser. Es ist ein Ertragen, das auf gut ausgeleuchteten Instagram-Bildern festgehalten werden kann, zumindest lässt der Herrgott mir das. Und er lässt mir Wasser. In Schwimmbäder gehe ich nicht, klar, die Massen, der Urin. Am liebsten bade ich im Meer, auch wenn das nur selten möglich ist. Wasser ist die einzige Auszeit, die seltene Freiheit, die der Sommer mir bietet, also fuck off, glotzende Person Mitte 30, mit deinen eigenen Selbstwertproblemen, die aus deiner Kindheit stammen und die du jetzt auf mich projizierst, Danke schön.

Erhalten Sie jeden Mittwoch Artikelempfehlungen für und über Familien.

Mit deiner Registrierung nimmst du die Datenschutzerklärung zur Kenntnis.

Die body positivity geht nämlich mit über 20 Grad auch in die Sommerpause, nichts mit "you go girl!", eher "go, girl". Wie jeder Körper ist auch meiner Diskussionsgegenstand der Sommergesellschaft. "Geil, dass du dich traust, bauchfrei zu tragen" – als wäre ich gerade in einem autokratischen Staat unterwegs, der Frauenrechte unterdrückt. So als wäre dieses Stück nackte Haut irgendwie ungehörig, bisschen eklig vielleicht? Dabei ekel ich mich ja selbst viel im Sommer, vor Haaren, Öl, Schweiß, Geruch, Hornhaut, bei mir und bei anderen. Alles muss rasiert und grundgereinigt sein. Bei mir und bei anderen.

Im Sommer kann ich selten an Schönes denken, also auch nicht an Sex. Attraktivität spielt keine Rolle mehr, denn die Hitze zerdrückt mein Gehirn, und überkommt mich die Lust doch, bedarf es eines inneren Kampfes und der Existenz eines guten Ventilators – was danach recht zuverlässig in einer Sommererkältung endet.

Leider, und für die Allgemeinheit ist das noch viel schlimmer, wird mir im Sommer auch das Klima egal. Paradox, ich weiß, hat mir genau diese Gleichgültigkeit ja meine persönliche Klimahölle beschert. Egal, im Sommer denke ich nur von Tag zu Tag, von Stunde zu Stunde, vom klimatisierten Mietauto zum klimatisierten Geschäft zur Klimaanlage daheim.

Den Sommer wirklich genießen können eh nur Privilegierte, all diejenigen, die drei Monate am Meer sind, in Ferienhäusern, die sie geerbt haben. Gutes Essen, ausruhen, sonnen, kurze Abendspaziergänge, weil tagsüber ist es ja kaum zu ertragen, zu voll auch, zu viele Menschen, nicht wahr. Um ehrlich zu sein, kann ich es mir nicht leisten, den halben Tag freizumachen. Dabei bin ich ja selbst halbwegs privilegiert. Ich habe studiert, ich bin Journalistin und kann mir mein Leben gut leisten. Aber dafür muss ich halt weitermachen, jeden Tag, ohne Pause im Park, vielleicht kommt das große Geld ja irgendwann, das Erbe wird es nicht sein.

Ich habe kein Verständnis für diese Jahreszeit und ihren Sinn, und ja, ich glaube an Gott und daran, dass der Mensch diese Klimakrise schon auch verdient. Nur spürt es das Establishment nicht, in seinen Leinenkleidern, während es verächtlich auf schwitzende Menschen blickt, die sich die Glorifizierung des erzwungenen Nichtstuns schlicht nicht leisten können.

So suhle ich mich etwa vier Monate im Jahr im Hass, ummantelt von der Wut, dass diese Jahreszeit eher mehr und nicht weniger wird. Der Sommer wird sie irgendwann alle holen, dann wird niemand mehr lachen, dann werden sie sich wünschen, sie hätten ihn nicht abgefeiert mit all den Lunchdates in schattigen Gartenlokalen und den Sommerabenden mit überteuertem Crémant, ihren Apérol Spritz und Iced Lattes, ihren Datschen und Bootsausflügen, ihren schwitzenden süßen Kindern und ihren Birkenstock-Füßen. Auch mich wird er holen, in meinem klimatisierten Mietwagen. Und ich muss jetzt dringend duschen.

Sie sagen es! Gehöre auch zu den brillentragenden Nasen- und Vielschwitzern und musste sehr lachen... allerdings halte ich, nomen es omen, Schwimmbäder neben der Schrift für die größte Errungenschaft der Menschheit. :-) Ihnen jederzeit ein kühles Plätzchen!

Wie toll, ich musste so schmunzeln!... wo doch der Sommer für mich wirklich gefährlich ist, aus gesundheitlichen Gründen. Danke für diesen witzigen Artikel, der mir fast den Schweiß auf die Stirn trieb, wegen des Tempos. Ein bisschen aushalten müssen Sie noch und glücklich die Menschen, die sich eine Klimaanlage und den Strom dafür leisten können... ;- )

Gute Frau, mir scheint, ihr Problem scheint nicht der Sommer zu sein, sondern ihr Verhältnis zu Ihrem Äußeren und das Verhältnis von Anderen zu Ihrem Äußeren. Wen zum Teufel juckt "Stilsicherheit"?!

Als Dieter scheinen sie doch ehr schon älter. Denken sie doch mal an die Zeit zurück, als sie noch junge 23 waren. Und bitte nicht selbst belügen.

...vielleicht ist auch Ihr Kommentar einfach... nur Mimimimi.. :-)

Bitte melden Sie sich an, um zu kommentieren.